Halbzeit Mwanza! Ich will gar nicht daran denken. Halbzeit Tanzania! Halftime Lake Victoria! Wie bringe ich all meine Ideen (schneller) zum Laufen, was geschieht nach mir damit? Ich könnte meine Arbeiten einigen Organisationen schmackhaft zu machen, damit weitere Vo-lontäre kommen. Selber erhalte ich ein Angebot von Tanzania Private Sector Foundation (www.tpsftz.org) für deren Unterprojekt Tanzania Cluster Competitivement Program tccp. Ich würde als Volontärin ein Appartement, ein Auto und genug Taschengeld bekommen. Arbeitspesen wären noch oben auf. Klingt gut. Nur, wenn ein „fester“ Job, dann müsste er auch so bezahlt sein, dass ich meine Sieben Sachen in der Schweiz Aufrecht erhalten kann. Tanzanian Private Sector hat erst heute einen Fuss in unsere Projekte gesetzt. Mwanza ist noch nicht erschlossen und muss oder kann jobmässig noch nicht besetzt werden. So wäre „mein“ Arbeitsort vorerst in Tanga – wunderschön am Meer gelegen. Mal sehen, klänge zwar schon kuhl, wenn ich das richtig verstanden habe, von der Weltbank sein Salär zu beziehen.
Aber vorerst habe ich hier genug zu tun. Dass ich nicht ganz so viel rumlaufen sollte, habe ich inzwischen begriffen. Auch gut. Homeoffice, ich habe wunderbar Zeit für die Postkarten-kreationen und Einrichtungsvorschläge TIO. Mit dem Schulungsprogramm für zukünftige Touristenführer komme ich auch gut voran. Und zwischendurch nehme ich mir meine Zeit, mich meinem Diary zu widmen, Fotos zu kategorisieren und private E-Mails zu schreiben.
„Privat“, eine kleine Story: Nach der Tanz- und Schlangenaufführung im Isamilo schrieb ich John Sombi eine E-Mail und hoffte, dass die Filmaufnahmen einigermassen gefallen. Seither ruft er mich sporadisch an. Wir schaffen es nicht, uns für ein Kaffee zu treffen. Entweder bin ich auf Reisen oder er logiert gerade in Dar-es-Salam oder Dodoma, wo ich jederzeit herzlich eingeladen wäre (in Dodoma mit oder ohne ihn bei seinen Eltern). Oder er bereitet sich auf die Reise nach Schweden vor, er hat dort eine Verlobte. Eine handvoll freundschaftliche Hellomails schreiben wir. Sein letzter Infostand war gerade, dass er eine Möglichkeit hat, in Norwegen als Tanzlehrer zu arbeiten, toll – ich wünsch ihm Glück. Dann kriege ich eine Nachricht von einer mir unbekannten Verena. Natürlich, sie warnt mich eindringlich vor John! Sie lebte eine zeitlang in Dar-es-Salam, geschäftlich. Nach einem Jahr Beziehung mit einem Tanzanier kam dieser bei einem Autounfall ums Leben. John habe sich so rührend um sie ge-kümmert; sie wurden ein Paar. Eigentlich müsste er jetzt in Schweden sein, um sie zu heiraten. Aber sie habe bemerkt, wie er nach ihrer Rückreise rechts und links weitere Frauen dated und durch diese (mit Liebeleien) versucht, Business zu machen. Hallo Verena, und jetzt? Tut mir ja leid für dich, aber das ist deine Geschichte, nicht meine. Und die geht mich gar nichts an, dazugehören tu ich nicht und mich hineinziehen wirst du auch nicht können. Es gibt ganz viele solche Stories und ich kann es den Menschen nicht verübeln, wenn sie sich eine bessere Zukunft erflunkern – als solche Partner/in sollte man die rosa Brille ausziehen. Ich schicke ihr nur eine Kurzantwort und ignoriere die Folgemails – nein, ich bin und werde keine „Verständnis-Freundin“. Die Zwischendurch-Calls mit John bleiben. Einzig weiss ich jetzt, dass meine Einschätzung, er sei homosexuell nicht ganz richtig war. Das allerdings wäre wieder ein anderes Thema, denn, gleichgeschlechtliche Beziehen würden in Tanzania mit Gefängnis be-straft.
Noch ein anderes Thema. Tom nimmt die Sonntagsfähre nach Bukoba. Er will nach dortigen drei Jahren „sein Zelt abbrechen“, seine Sachen verkaufen, bei Säumigen Geld einfordern und dann… Der hat nun ganz schön Heimweh nach Kenya. Mein Crash hat in ihm einige Gedanken ausgelöst; was der Seiten vollgeschrieben hat diese Tage. Er meint auch, mein Unfall wäre nicht passiert, wenn er nicht getrunken hätte an dem Abend und so ins Tanzfieber gekommen wäre –Quatsch. Wahr ist allerdings, dass er abends zeitweise schon sehr viel bechert. Warum, „Es gibt einen Grund, den werde ich dir irgendwann mailen. Nach deinerRückkehr in die Schweiz“. Fragezeichen.
Jedenfalls bin ich denn vorerst wieder alleine in Kiseke. Das stimmt Mary, Pura, Jadida und vorallem Marys Vater freudig. Marys Vater ist gerade aus Dar-es-Salam angekommen. Er bleibt ein unbestimmtes Weilchen, bevor er weiter nach Bukoba fährt. In Dar-es-Salam hatte er eine Prostata-Operation. Er ist jetzt mit 78 Jahren das erste mal ernsthaft krank und will nicht so recht glauben, dass er wieder zu Kräften kommen wird. Ist voll süss, wie er von mir all die Medikamente kommentiert haben will und auf mich „hört“. Er trotzt danach scheinbar sogar mit meinen Erklärungen dem Arzt gegenüber, Mary freut es. Auch wir beide diskutieren oft über Medikamente und deren natürlichen Alternativen. Und hier schwatzen sie den unwissenden Patienten noch mehr unnötige (Vitamin-)Pillen auf, um Geld machen zu können. Ich mag Marys rundlichen Vater, der hat so ein verstecktes spitzbübisches Zwinkern in den Augen.
Eigentlich plante ich ein paar Erkundungstage mit Father George auf der Ukerewe-Island. Dazu musste ich absagen. Denn bei der eigentlichen Konsultation meinte der kurze Teddybär-Arzt „Neinnein, herjeee. Mzungu Andrea, ich meine es ernst, es ist nicht zu spassen. Diese schwarzen Stacheln bleiben noch schön drin!“ Ich war gerade in die Putzphase der Notaufnahme geraten. Sind die Böden wasserglitschtig duftend fein frisch – so entgegen meinem nächtlichen Besuch. An einem Mittwoch hat dann die mütterliche Helen die wider-spenstigen Fäden rauspinzetiert. Es geht zwar noch nicht ganz so schnell zu Fuss, wird wohl aber schon werden… Also rufe ich jetzt Father George an, wie es denn auf Ukerewe war. Was für eine freudige Überraschung: „Nein, wir fuhren auch nicht hin. Du sollst mit dabei sein! Ist dir dieses Wochenende recht?“.
Unser monatliches Mwanza-Tourist-Task-Force-Meeting findet während der Woche statt. Toll, etliche Sachen gehen vorwärts. Bald sind wir keine MTTF mehr, sondern offiziell beglaubigt die Mwanza Tourist Association MTA.
Und Tom? Der ruft am Dienstag an. Er ist ganz schön traurig, und wütend. Ich habe ihn ge-warnt. „Oh, Andrea, ich wollte das nicht glauben“. Sein Geld bekommen, seine Kleider ein-sammeln, nichts klappt. Gekränkt, nicht nur malariakrank, reist er schon diese Nacht zurück nach Mwanza – ohne seinen Freunden auf Wiedersehen zu sagen!
Dann am Morgen in der Stadt seine Story: im Bett malariawälzend, besorgte ihm jemand sein Fährenticket. Als er in diese einsteigen wollte, was? „Gefaktes Ticket, du bist ein Betrüger!“. Auf der Fähre kennen ihn alle durch Kiroyeratours, manchmal schläft er in des Kaptain Privatkajüte. Trotzdem hat er die halbe Fahrt in Handschellen stehend in der Kittchen-Kabine verbringen müssen. „Oh Andrea, ich hab alles versucht, sie wollten partout nicht hören.“ Er musste dann nochmals ein „echtes“ Billet bezahlen und als Strafgeld – weil eben kein Geld mehr da war – wurde sein Mobile konfisziert!
Also wirklich, der Typ hat manchmal Geschichten. Wie auch, als er 1996 aus dem kenianischen Hinterland kommend erstmals in Mwanza war. Gerade da war die MV Bukoba gesunken (das grösste Schiffunglück auf dem Lake Victoria mit den über 800 Toten). Er hört davon und geht neugierig geworden ins Spital „die Toten anschauen“. Überhaupt geht man hier mit dem Tod viel „öffentlicher“ um. Leichen werden in allen Medien ungeschminkt gezeigt/gefilmt und das in schonungsloser Nahaufnahme, gruselig. Jedenfalls findet Tom den Saal mit den Leichen und ist so mit dem „Studium“ beschäftigt, dass er nicht realisiert, wie die Menschenmasse hinausgeschickt und die Türe geschlossen wird. Der eine retourkehrende Arzt kriegt fast einen Herzinfarkt, als er Tom da aufrecht stehen sieht! Und wenn schon mal in einem Spital, dann dreh ich noch ne Runde. Bis er in der geschlossenen Abteilung landet – die eben nicht geschlossen ist! Und das für einen, der bisher keinen Kontakt mit psychischkranken Menschen hatte. „Oh Andrea, die Geräuschkulisse und die Fratzen waren ganz schön schaurig“. Tom entdeckt dann noch das Phänomen, dass da wo Leute reingehen aber nicht wieder rauskommen – also fährt er auch zum ersten Mal Lift! Nach diesem ereignisreichen Tag liegt er eine Woche flach – war doch etwas viel auf einmal… Tom erzählt so gestenreich auslandend und in einer ungezwungenen Selbstverständlichkeit, ich lache einen Anfall am anderen. Zu seinen beiden fetten Narben am Hinterkopf meint er ganz natürlich „Tja, ich hatte es wohl etwas sehr eilig vom Himmel zu kommen. Ich rutschte unerwartet schnell aus dem Bauch meiner Mutter.“. Über all seine illustren Geschichten, was die Annäherung an das weibliche Geschlecht anbelangt, da nur eines kleines Episödchen: als er mit pupertierenden vierzehn Jahren von einem Mädchen einen Zettel „ninakupenta“ (ich liebe dich) zugesteckt bekommt, geht er mit ihr in den Wald. Kein Reden, kein Herumalbern, gar nichts. Er liegt etwa zwei Stunden mit dem Kopf auf ihrem Bauch. Darauf ist er sich sicher, er hatte soeben zum erstem mal Sex! Er fand es schön. Das Mädchen allerdings hat sich nie mehr bei ihm gemeldet.
Nun aber ist Tom erstmal wieder zurück in Mwanza – für wie lange…? Das Thema Bukoba ist wie vom Tisch gefegt, kein Wort fällt mehr darüber. Einmal pickse ich ihn an, ob er denn wenigstens mein Geschenk geholt habe. Man erinnert sich an die eine Überraschung die er für mich anfertigen liess, der Laden aber geschlossen war. Ganz offen, als wäre es das normalste der Welt, antwortet er schlicht: „Oh, Andrea. Das war gelogen, ich wollte nur Zeit mit dir verbringen.“ Ist ja aufgegangen – für beide. Jetzt ist er fleissig und erfolgreich für mich am Businesskontakten. Zuhause ist wohl erneut ein einzelner lauter Song den ganzen lieben langen Tag angesagt. Endless kann der von meiner Musikliste seine Lieblingsstücke abspielen (zb David Bisbals aqui y ahora, Claudio Baglionis piccolo grande amore, Tina Charles i love to love, Yvonne Catterfields Für dich oder gerade das brandaktuelle StereoLove von Edward Maya & Vika Jigulina).
Früh aufstehen muss ich. Tom darf aus- und nachschlafen. Ukerewe wartet. Die Insel mit ihren 496 Quadratkilometer ist die grösste Binneninsel Afrikas. Sie gehört mit der nördlich gelegenen Insel Ukara und kleineren Nachbarinseln zu einem der acht Distrikte von Mwanza. 2002 betrug die Einwohnerzahl im verwalteten Gebiet 261’944, die Hauptstadtt Nansio bewohnen rund 6000 Einwohner. Die dreistündige morgendliche Fährenfahrt ist zugig kalt. Wir sind zu viert unterwegs. Matilda und Laurenzia sind seekrank. Es ist deren allererste Fahrt auf Gewässer. Father George gehts sehr gut. Er genehmigt sich heute sein erstes Bierchen schon um zehn Uhr. Sag mal, auf welchen Heiligen stosst du denn heute an..? „Lass mich überlegen“, er studiert die Bierflasche und bingo, er strahlt schelmisch: „Heute ist es der Saint Castel Lager!“ Er geniesst dieses genau so offensichtlich, wie auch mit drei so adretten Damen unterwegs zu sein.
Wir logieren im einfachen Guesthouse Monarch. Das liegt herrlich am Strand. Ich flipp fast aus, als ich im Vorhof die beiden Flangipani-Bäume rieche. Flangipani heissen sie in Tanzania, Mariposa in Cuba, man nennt sie Plumeria alba oder auch Tempelbaum, Antillenjasmin, oder Flor de Cebo oder …. Der betörende Jasminluft stimmt mich immer ganz glücklich. Hier gibt es nicht nur die weisse Variante. Mein neuer Favorit ist pinkfarben mit dem üblichen gelben Kern. Der Duft ist ein Tick wärmer, filigraner. Das wäre mein Lebensparfum!
Wir geniessen das Städtchen, gebratenen Fisch, grünes Gemüse und frittierte Chipsy. Und wir celebrieren Matildas mit Bravour bestandenen Computerkurs; das Geschenk ist ein eigenes Mobile. Sie ist eine von Father Georges Zöglingen, zwanzig jähriges Waisenkind und mit einer Tante zusammen verantwortlich für fünf jüngere Geschwister. Matilda ist sehr hübsch und das weiss sie. Ganz gezielt setzt sie ihren Augenaufschlag ein, ganz gekonnt kokettiert sie mit dem jungen Georgy, dem Pächter des Monarch. Auch die hagere Laurenzia steht unter dem Schutz von George, sie ist einundvierzig Jahre alt und muss wieder bei den Eltern wohnen; der Ehemann hat sie verstossen, sie wurde nicht schwanger.
Den Abend begiessen wir – eher ich – mit einer mitgebrachten Flasche Campari. Woher wusste George, dass mir dies schmeckt (im Gegensatz zu den beiden anderen Ladies)? Überhaupt mag ich den George je länger je lieber – und das hat nichts mit dem Aperitiv zu tun. Eigentlich heisst der George „Jürgen“, aber das tut nichts zur Sache. Wie auch nicht, dass wir situativ das „Father“ weglassen müssen. Georges Efforts für Mwanza und sein Wissen darüber sind einfach gold wert und sein besonderer Humor liegt ganz auf meiner Wellenlänge.
Die Mädels und George sind nach dem frischen Kuku müde, gehen früh schlafen. Ich setze mich auf die breite Schaukel. Hoch und höher und überfliegend geniesse ich die sternenklare Fast-Vollmondnacht. Und dann klingt nebenan aus den Boxen R. Kellys „I believe i can fly“, nun schwebe ich vollends in anderer Sphäre.
Am Morgen erwache ich wunderbar früh und spaziere alleine ins Morgenlicht hinein. Schön zu sehen und zu hören, wie das plappernde Städtchen erwacht. Ich komme an einer einge-zäunten Wasserpumpe vorbei und werde von den kichernden Menschen gleich in Beschlag genommen. Ein, zwei Fotos knipse ich dabei heimlich, pardon. Mit den Kindern spiele ich etwas Katz und Maus durch den astigen Zaun. Dann schlendere ich zurück. George hat ein Bötchen organisiert. – Ein Riesenkahn für drei Gäste (Matilda kriegen wir nicht mit rein). Drei kräftige Fischer paddeln muskelspannend über eine Stunde lang, George schlägt kräftig mit. Ich tu mir das nur ein halbes Stündchen an, es ist mir zu heiss und ich finde es ganz angenehm, mal so „chauffiert“ zu werden.
Wir landen am hellen Sandstrand von Hamuyebe und machen uns auf die Suche nach dem Fort, von welchem aus die Deutschen 1904 bis 1910 den See kontrollierten. Seit Jahrhun-dertende hatten sie die Aufgabe, die Sklaverei zu bekämpfen. Als grössten Rückschlag kamen hier leider bei einem handfesten Kampf etwa achzig bereits freigekaufte Sklaven ums Leben. Daraufhin mussten sie selber flüchten.
Den Aussichtspunkt des kleinen Fort finden wir auf einem Hügel. Von der Stätte ist leider so viel wie gar nichts mehr übrig. Wir können nur noch ein paar angedeutete Steinmauern inmit-ten der Kasawa-Plantagen ausmachen. Es lohnt sich demnach nicht, dieses Ziel ins Touristenprogramm aufzunehmen. Dafür aber riecht die Luft so herrlich!! Orangenplantagen, unzählige schöne bauschige Baumkronen voller wunderbarer knallfarbener Früchte. Und genau das sollte nicht so sein. Sie werden alle verfaulen: Es sind zuviel davon! Wenn ich jetzt Kontakte zu Fruchtsaftfabriken wüsste.
Zurückgepaddelt können wir nur noch schnell packen und zum Steg eilen. Haraka-haraka kaufe ich dabei noch ein Mass Orangen. Ein Mass entpricht einfach dem gefüllten Körbchen. Ein Körbchen: etwa fünf Kilo Orangen und Mandarinen für umgerechnet knapp einen Fran-ken!
Kaum auf die Fähre gejumpt, legt sie ab. Ich plane, nochmals nach Ukerewe zu kommen. Ich habe von weiteren vielversprechenderen Touren gehört. Bereits ausgehandelt mit Georgy habe ich einen günstigeren Zimmerpreis.
Auf festem Boden, auf dem Pistenstück nach Kiseke, streikt der Daladala alle hundert Meter. Ich sitze neben dem gestressten Fahrer. Als wir da so manchmal Mitten auf dem Strässchen stehen und uns ein Fahrzeug entgegenkommt, bin ich die Gestresste. Es ist mir mulmig nicht ganz geheuer. Das fällt wohl unter traumatische Unfallfolgen – ich sollte nicht blickträchtig vorne Einsteigen. Einmal werde ich abgelenkt, Toms Name erscheint auf meinem Mobile. – Also sowas, denke ich, saufrech, zuerst sein Mobile hinterrücks ersteh(l)en und dann noch Calls damit machen. Aber nein, es ist Tom selber, er ist bei Gertrud. Er hatte den einen Typen am Hafen abgefangen und für „nur“ 10‘000 sein Natel zurückerhalten.
Ich selber kam nicht ganz so günstig davon. Man erinnert sich an das gestohlene Utensil-Etui im Spital. Ein Kisekebewohner, den Umar kennt, bekommt ein paar Tage darauf ein Anruf: „Die Mzungu kann ihre Ware wieder zurückkaufen“! Das heisst: Bankkarte, Führerausweis und Notfallkarten. Die Kamera und den USP-Stick könne ich vergessen. Umar feilscht darauf mehrmals telefonisch den Preis aus. Schlussendlich macht er sich auf nach irgendwo weit draussen weg vom Schuss. Die Dealer sind ganz schön ängstlich nervös, dass hinter Umar die Polizei auftauchen könnte. Meine Ware wird gegen 80‘000 Ths eingetauscht. Erstaunlich für mich ist, dass sie den Kugelschreiber und ein paar (andere) Echtsilberohrringe nicht behalten haben. Wenn man nicht schreiben kann und noch nie keinen Kitschschmuck gesehen hat… dass sie mit dem Tampon nichts anzufangen wussten, ist nicht verwunderlich, smile. Wenn Umar next Week vom ostafrikanischen Dart-Turnier aus Arusha zurückkommt, wird er sich in der einen Strasse umsehen, vielleicht kann ich mir meine eigene Kamera zurückkaufen.
Den wunderschönen Vollmondabend verbringen wir also bei Mama Maria und ihrer Familie. Gertrud ist vierunzwanzig Jahre alt, die Mutter von Baby Maria. Sie kümmert sich auch um die drei Kinder aus erster Ehe von Laurient. Deren Mutter ist abgehauen, als sie errechnete, dass sie mit einfacher Prositution mehr Geld verdient, als mit der harten Arbeit auf den Reisfeldern. Nachdem Laurient mit Tom den selbstgebrauten Teewein getrunken hat und so zum „Blutsbruder“ avoncierte, ist er nun mein „Schwager“. Also „Shemeji – kurz Shem“ gibt sich alle erdenkliche Mühe mit den unterschiedlichsten Jobs, um die Kinder zur Schule schicken zu können – bisher vergeblich. Bald sind Aloyse vier, Anna sechs und Esther acht Jahre alt. Auch Gertrud ist eine Krampferin, beides sind Engel von Menschen. Wir lachen viel, essen viel und trinken viel, und geniessen heute diese Nacht.
Daraufhin muss ich aussetzen. Es war wohl schon etwas zuviel Action so kurz nach dem Crash – auch eine weitere Sorte Blasenmittel habe ich auf dem Rückweg besorgt. Kuschel- und Schonwoche ist demnach angesagt, wovon ich die ersten beiden Tage flach liege. Schönheitsschlaf? Denn Tom inspiziert meine Schläfe. Ja, der harte schwarze Pflasterpflasch wird von den neuen Härchen getragen, wir können meinen Schönheitsfleck also entfernen. Mein kleines, feines Nagelscherchen, du bist gefragt. Das filigrane Unterfangen wäre mit Mary Schere erneut unfallgefährdet (danke trotzdem). Ihr Teil stammt aus jener Ururzeit, wo die gusseisernen Bügeleisen mit Kohle gefüllt Hochkonjunktur hatten – ein nettes Paar.
Zwei Sitzungen, einige Kleinigkeiten hier und dort – und das definitiv fremdkörperfrei. The days are running.